Haas Unica – Alter Mythos oder revolutionärer Newcomer?
Vor fast vier Jahrzehnten wurde die Haas Unica angekündigt. Sie sollte zum Nachfolger von Helvetica werden – zu einem Release kam es aber nie, bis jetzt.
Vor fast vier Jahrzehnten wurde die Haas Unica angekündigt. Sie sollte zum Nachfolger von Helvetica werden – zu einem Release kam es aber nie, bis jetzt.
Vor fast vier Jahrzehnten kündigte ein Schweizer Unternehmen namens Haas eine Schriftart an, die zum rechtmäßigen Nachfolger der weltbekannten Helvetica werden sollte. Die Nachteile der Helvetica sollten durch eine Fusion mit der ebenfalls etablierten Univers ausradiert werden und eine neue, individuell einsetzbare Schriftart sollte entstehen. Zu einem Release kam es aber nie – zumindest bis jetzt.
Im Jahr 1974 gab das Unternehmen Haas, der Herausgeber der Helvetica-Schriftart, einem dreiköpfigen Team bestehend aus renommierten Typografen den Auftrag, einen Nachfolger für seine weltbekannte Schriftart anzufertigen. Die Anforderung war, einen Hybriden aus Helvetica und Univers zu erschaffen, der den damals modernen Ansprüchen der Fotosatz-Technologien entsprechen sollte.
Die Entwicklung dauerte ganze drei Jahre und wurde vom sogenannten Team`77 durchgeführt. In dieser Zeit kam es aber zu zwei unvorhergesehenen Ereignissen: Haas musste die Geschäftstätigkeit einstellen und die Personal Computer, allen voran der Macintosh, hielten international Einzug am damals schon aufblühenden IT-Markt. Das Problem daran war, dass Unica nicht an die dadurch entstandenen Anforderungen angepasst war.
Noch in den 80er-Jahren gab es Versuche eines anderen Unternehmens, die Schriftart digital umzusetzen – auch dieses Unternehmen musste die Geschäftstätigkeiten einstellen. Natürlich kam das dem Ruf von Unica nicht unbedingt zu Gute, weshalb die Schriftart schließlich in der Versenkung verschwand.
Bis zum Jahr 2012 kümmerte sich niemand mehr um die Umsetzung von Unica, unter anderem auch wegen diverser Streitigkeiten um das Copyright. Dem Zufall war es zu verdanken, dass Dan Rhatigan, Type Director von Monotype, auf Aufzeichnungen zum Projekt Unica stieß. Diese fand er beim Wühlen in einem alten Archiv der Mergenthaler Linotype Company, deren Gebäude Monotype gerade übernommen hatte. Das gescheiterte Projekt war ihm aus diversen fachspezifischen Foren bekannt. Kurze Nachforschungen ergaben, dass die Rechte an der Unica durch den Erwerb des Archives bei Monotype lagen. So beschloss Rhatigan, der Schriftart eine neue Chance zu geben und mit der „Neue Haas Unica“ eine moderne Version herauszubringen. Diesen Auftrag übernahm Schriftdesigner Toshi Omagari – seit kurzer Zeit ist Unica endlich kommerziell verfügbar.
So viel zur Geschichte von Unica. Jetzt kommen wir zur wichtigsten Frage: Was ist es, das die Schriftart so dermaßen außergewöhnlich macht, dass sich nach 40 Jahren nochmal jemand die Mühe gemacht hat, das gescheiterte Projekt wieder aufzunehmen?
Ausschlaggebend waren natürlich ein gewisser Mythos, der sich mittlerweile um Unica rankt, und der daraus resultierende Kultfaktor. Typografen aus aller Welt hatten bereits vom Helvetica-Nachfolger gehört und Beispielbilder gesehen, schließlich kursierten Abbildungen schon seit Jahrzehnten im Internet. Nur verwenden konnten sie Unica nicht – es kam ja nie zur Veröffentlichung. Forendiskussionen gab es aber wie Sand am Meer. Aus heutiger Sicht kann man sagen: eine perfekte Promotion-Phase – nur etwas lang und ungewollt.
Mythos und Kultfaktor alleine reichen aber natürlich nicht aus, die Unica ist mehr als ein ausgebranntes Phänomen. Die Begeisterung ist durch Eigenschaften zu erklären, die sie selbst nach 40 Jahren noch immer revolutionär erscheinen lassen.
Leidenschaftlicher als Univers soll die Schriftart sein und doch nicht so schnörkelig wie Helvetica. Knackig, schön, modern und rationell mit einem Schuss Menschlichkeit – diese Attribute sollen die Unica auszeichnen. Fachleute aus aller Welt bewundern die liebevolle und präzise Ausarbeitung der Einzelheiten, die von Team’77 durchgeführt wurden.
Auf den ersten Blick fallen dem ungeübten Auge keine großen Unterschiede zu Helvetica auf. Das liegt ganz einfach daran, dass es auch nicht das Ziel des Teams war, das Rad neu zu erfinden. Unica sollte durchaus Ähnlichkeiten zu Helvetica aufweisen und irgendwie vertraut wirken.
Die ausschlaggebenden Änderungen liegen viel mehr im Detail. Die Laufweite wurde verstärkt und die üblicherweise breiteren Buchstaben, also jene mit markantem Bauch, schmäler gestaltet.
Toshi Omagari führte die Arbeit zu Beginn als Nebenprojekt aus. Mit der Zeit wurde klar, dass die „Neue Haas Unica“ kein bloßer Abklatsch für die alte Version werden sollte. Um den modernen Anforderungen gerecht zu werden, passte Omagari die einzelnen Zeichen noch einmal an die Erkenntnisse und Fortschritte der letzten Jahrzehnte an und erweiterte die ursprünglichen acht Fonts auf ganze 18.
Fantastisch an der „Neue Haas Unica“ ist die Vielfältigkeit. Ganze neun Strichstärken sind verfügbar (inklusive Kursivschriften gibt es 18 Fonts), 147 Sprachen werden unterstützt. Schriftdesigner Toshi Omagari legte außerdem ganz besonderen Wert darauf, detailgetreu die Sonderzeichen der einzelnen Sprachen darzustellen.
Die „Neue Haas Unica“ ist dank Omagari perfekt den Anforderungen kleiner und großer Bildschirme angepasst. Die Lesbarkeit soll sowohl auf Desktop PCs als auch auf modernen Smartphone-Displays gleichermaßen gegeben sein. Böse Zungen behaupten, dass Monotype damit genau das erreicht hat, an was Apple mit „San Francisco“ gescheitert war.
Abschließend greife ich noch einmal die Frage auf, was genau das Besondere an Unica ist. Die Antwort lautet wohl: Das Zusammenspiel vieler minimalistischer Details, welche die Schriftart flexibel und platzsparend erscheinen lassen, ohne die Lesbarkeit negativ zu beeinflussen.
Hat die „Neue Haas Unica“ echtes Potenzial, die allseits bekannten Schriftarten Helvetica und Univers abzulösen, oder handelt es sich dabei um ein reines Kultobjekt unter Experten des Bereichs? Das kann wohl nur die Zeit zeigen. Klar haben zahlreiche Schriftarten Unica einiges an Popularität voraus, doch im schnelllebigen EDV-Bereich ist eine Wachablöse oder zumindest die Übernahme großer Marktanteile sicher nicht unmöglich.
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